Forschung zur Bundestagswahl 2021
Anlässlich der Bundestagswahl im Herbst 2021 haben wir geforscht – zur Art der politischen Social Media-Kommunikation, zur koordinierten Verbreitung von politischen Inhalten an Nutzerinnen und Nutzern in sozialen Medien und zu Microtargeting.
Die Ergebnisse liegen heute alle vor und sie zeichnen ein gemischtes Bild. Die Angst vor einer Einflussnahme in einen der wichtigsten demokratischen Prozesse von allen – eine Wahl – ist groß. Und es steht die Frage im Raum, ob es Auffälligkeiten in der Verwendung von Social-Media-Kommunikation verschiedener politischer Akteure gegeben hat, die Bürgerinnen und Bürger im Prozess der Meinungsbildung vor der Wahl täuschen können.
Unsere Forschung zeigt, dass Wahlkampf digital stattfindet und die Mittel der digitalen Kommunikation genutzt werden. Sie zeigt, dass dies jedoch in eher übersichtlichem Umfang stattfindet und ein Missbrauch nicht offensichtlich wird. Und sie zeigt, dass wir aufgrund der zurückhaltenden Zurverfügungstellung von Daten durch die großen Social Media-Konzerne keine abschließende Einschätzung vornehmen können.
Political Influencing in Social Media
Werbung wirkt. Ganze Industrien haben sich darauf erfolgreich spezialisiert. Besonders in Social Media fügt sich ein werblicher Content perfekt in den Feed voller Posts von Freunden, News oder Unternehmensupdates ein. Doch während die Wahl des neuen Staubsaugers oder der nächsten Tiefkühl-Pizza vor allem finanzielle Folgen hat, wirkt sich politische Werbung auch auf demokratische Prozesse und unsere Meinungsfreiheit aus.
Um neue Möglichkeiten der politischen Werbung und des Political Influencing in Social Media während der Bundestagswahl im vergangenen Jahr besser zu verstehen und eventuellen regulatorischen Bedarf zu erkennen, hat die Landesanstalt für Medien NRW eine Studie in Auftrag gegeben. Das Team um Prof. Dr. Jörg Matthes von der Universität Wien hat dazu fünf Graubereiche zwischen politischer Werbung und politischer Kommunikation identifiziert und auf regulatorischen Handlungsbedarf hin untersucht.
Ziel: Identifikation und Bewertung verschiedener Formen des Political Influencing
Methode: Das Forschungsteam aus Wien hat fünf Graubereiche zwischen politischer Werbung und politischer Kommunikation identifiziert . Sie umfassen das Testimonial, den Partei-Hashtag und den Partei-Filter, den direkten Wahlaufruf und den Werbungsrepost.
Eine Auswahl der Ergebnisse:
- Im Fall des Testimonials wirbt eine Person dafür, eine Partei zu wählen oder gibt an, diese bereits gewählt zu haben.
- Beim Partei-Hashtag oder Partei-Filter drücken Personen ihre Zustimmung zu einer politischen Partei über den direkten Verweis auf eine Partei durch deren Hashtag oder die entsprechende Gestaltung ihres Profilbildes aus.
- Auch der direkte Wahlaufruf, bei dem eine Person in Social Media direkt dazu auffordert, eine bestimmte Partei zu wählen, zählt zu den Phänomenen des Politcal Influencing, die in der Studie genauer betrachtet wurden.
Bei all diesen Beispielen zeigt sich, dass sie zwar für eine Partei werben, jedoch kein regulatorischer Handlungsbedarf besteht.
- Etwas anders stellt sich die Situation beim Werbungsrepost dar. Dabei wird ein Post, der ursprünglich als gesponserter Post mit dem Ziel gesteigerter Reichweite eingestellt wurde, wiederum von einer Privatperson geteilt. Oftmals verliert der Post die Kennzeichnung als gesponserter Inhalt. Im Sinne der Transparenz wäre es jedoch wünschenswert, wenn auch dieser Inhalt, der einmal als werblich gekennzeichnet war, auch weiterhin als solcher gekennzeichnet bleibt.
- Insgesamt wird in dieser Studie ersichtlich: Die allermeisten Formen politisch-werblich anmutender Kommunikation sind Ausdruck der freien Meinungsäußerung. Dort jedoch, wo Geld dafür geflossen ist, ist im Sinne der Transparenz für Nutzerinnen und Nutzer sicherzustellen, dass dies als Werbung gekennzeichnet ist.
Studie Political Influencing über Social Media im Bundestagswahlkampf 2021
- Der Bericht zur Studie [pdf, 2 MB]
Politische Werbung und koordiniertes Verhalten in sozialen Medien im Vorfeld der Bundestagswahl 2021
Das Projekt „Politische Werbung und koordiniertes Verhalten in sozialen Medien im Vorfeld der Bundestagswahl 2021“ wurde durch eine Forschungsgruppe der Universiäten Wien, Urbino und Sassari (Projektleitung Dr. Nicolà Righetti und Prof Dr. Fabio Giglietto) durchgeführt, die mittels eigens entwickelter Software koordiniertes Link-Sharing Verhalten auf sozialen Netzwerken sowie den Einsatz von Microtargeting durch Parteien im Bundestagswahlkampf 2021 untersuchten. Das Projekt ist, wie das Vorgängerprojekt im Jahr 2019, ein Kooperationsprojekt der Medienanstalten in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin und Rheinland-Pfalz.
Microtargeting
Ziel: Microtargeting und die verwendeten Targeting-Strategien deutscher Parteien im Wahlkampf 2021 zu untersuchen
Methode: Analyse von 13.707 politischen Werbeanzeigen mit insgesamt mehr als 413.000.000 Impressionen, die von 233 Inserenten gesponsert wurden, die in direkter Verbindung zu den sieben wichtigsten politischen Parteien stehen (d.h. nationale und regionale Seiten und Konten der Parteien) und während der Wahlkampfphase in der Facebook Ad Library aktiv geschaltet waren
Eine Auswahl der Ergebnisse:
- Im Gegensatz zur Europawahl 2019 (Hegelich & Serrano, 2019) gaben Die Grünen 2021 mehr Geld für Werbung in Social Media aus als die CDU und die SPD.
- Aber der Einsatz von finanziellen Mitteln erklärt nicht unbedingt die Reichweite der Posts. Beispielweise die FDP, die die meisten Anzeigen schaltete und die höchste Zahl an Impressionen erreichte, gab im Vergleich insgesamt weniger Geld aus als Die Grünen und die CDU.
- Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Microtargeting-Strategien kein sehr verbreitetes Instrument der deutschen Parteien sind. Facebook bietet den Werbetreibenden allerdings deutlich ausgefeiltere Targeting-Optionen, die effektiv für Microtargeting genutzt werden können, als dies durch Außenstehende und Forschende einsehbar ist (Für das Forschungsteam waren nur die Targetingkriterien Geschlecht, Altersrange und Bundesland einsehbar).
- Die Untersuchung zeigt auch, dass wie während der Wahl zum Europaparlament 2019, Parteien über die organische Verbreitung von Inhalten oftmals größere Reichweiten erzielen, als über offiziell geschaltete Werbung. Allen voran die Partei AfD, welche ungewöhnlich hohe Aktivitäten auf ihren Parteiaccounts und Accounts einzelner Spitzenpolitikerinnen und -politiker aufweist.
- Wichtig ist folgende Einschränkung: Zwar finden sich vereinzelt Hinweise darauf, dass bestimmte Demographien oder Geschlechter bestimmte Werbeanzeigen ausgespielt bekommen haben. Die Inhalte der Werbeanzeigen lassen aber nicht unbedingt darauf schließen, dass diese gezielt auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind. Um endgültige Schlüsse ziehen zu können, benötigen Forschende auch in diesem Bereich Zugang zu allen Kategorien, die Werbetreibenden zur Verfügung stehen und die für das Targeting eingesetzt werden. Diese sind nicht zugänglich. Das heißt:
- Microtargeting wird immer noch sehr begrenzt eingesetzt und auch nicht immer unbedingt zielgruppenspezifisch aufbereitet - aber, mehr Einsicht in Targeting-Kriterien könnte die Diskrepanz erklären.
- An vielen Stellen fehlen Daten, die offene Fragen endgültig beantworten könnten. Derzeit sind diese jedoch von Seiten der Plattformen nicht für Forschende und Aufsichtsbehörden zugänglich.
Koordiniertes Verhalten in sozialen Medien im Vorfeld der Bundestagswahl 2021
Ziel: Untersuchung des Vorhandenseins und Ausmaßes koordinierter Netzwerke während der Bundestagswahl 2021
Methode: Um das Vorhandensein koordinierter Netzwerke festzustellen, wurden etwa 1.850.000 URLs gesammelt, die in den sechs Wochen vor dem Wahltag von politischen Accounts (Parteien und Politiker, die zur Wahl standen) auf Facebook, Instagram und Twitter gepostet wurden, sowie Beiträge mit politischen Schlüsselworten (z. B. Tempolimit, Schuldenbremse, Digitalisierung, etc.) enthielten. Im Anschluss wurde automatisiert überprüft, ob diese URLs von öffentlichen Facebook- und Instagramkonten auffällig häufig und schnell hintereinander geteilt wurden (max. 20 sec)
Eine Auswahl der Ergebnisse:
- Die Forscherinnen und Forscher haben 130 koordinierte Netzwerke identifiziert, die aus insgesamt 593 Konten bestanden, von denen die meisten von Facebook (564) und ein geringerer Teil von Instagram (29) stammte.
- Gruppen, die koordiniertes Verhalten zur Verbreitung von Inhalten einsetzen, reichen von etablierten Medienhäusern, über Parteien, bis hin zu Gruppen die sich gegen Corona-Schutzmaßnahmen einsetzen oder dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind.
- Die Reichweite von Inhalten, die durch koordiniertes Verhalten verbreitet wurden, lag bei einzelnen Anti-Establishment-Gruppen bei bis zu 400.000 Abonnenten und bis zu 3.000.000 Interaktionen in den sechs Wochen vor der Wahl, einschließlich 822.000 Shares in einzelnen Netzwerken – das ist mehr Reichweite, als ein Großteil der etablierten Medien erreichen kann.
- Koordiniertes Verhalten kann bei der Verbreitung von Desinformation eine Rolle spielen. Links, die durch koordiniertes Verhalten verbreitet wurden, besaßen eine 32 % höhere Wahrscheinlichkeit, aus Quellen zu stammen, bei denen in der Vergangenheit Zweifel an der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht bestanden.
- Allerdings muss man auch eine Einschränkung mitgeben: Zwar finden sich vereinzelt Hinweise darauf, dass auch inauthentisches Verhalten (also Automatisierung, Bots, Fake Accounts) zur Verbreitung eingesetzt wurde, allerdings ließ sich das nicht endgültig bestätigen, da hierfür Informationen über einzelne Accounts vonnöten sind, die für die Forschenden nicht zugänglich waren. Das heißt:
- Ja, es ist koordiniertes Verhalten zu beobachten, aber inauthentisches koordiniertes Verhalten kann nicht abschließend bestätigt werden.
Das Ausmaß dieser Reichweite und der tatsächliche Einfluss auf die Meinungsbildung sind nur schwer zu beurteilen.
Politische Werbung und koordiniertes Verhalten in sozialen Medien im Vorfeld der Bundestagswahl 2021
- Der Bericht zur Studie in deutscher Sprache [pdf, 4 MB]
- Der Bericht zur Studie in englischer Sprache [pdf, 4 MB]
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